Musicalbesuch der Klassen 10 in Marburg 2019

Geschichte(n) im Theater

"Cabaret!" klingt nach leichter Unterhaltung, nach doppeltem Boden und ein klein wenig verrucht. "Cabaret" klingt nicht nach Schule. Muss es ja auch nicht. Wenn das Cabaret nicht in die Schule kommt, fährt die Schule nach Marburg ins Erwin Piscator-Haus und sieht sich Geschichte an. Rund 80 Jugendliche aus den Klassen 10 der Realschule Schloss Wittgenstein in Bad Laasphe haben das getan. Es war ein langer Abend. Gut für die Augen, die Ohren und - einen anderen Blick auf die Geschichte.

Die Handlung: Der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw kommt ins Berlin der 20er Jahre. Schon im Zug trifft er Ernst Ludwig, einen Nazi, der, wie sich später zeigt, Dessous aus Paris in die Reichshauptstadt schmuggelt. Die sind absolut nicht braun. Noch nicht.

Bradshaw wohnt bei Fräulein Schneider. Die lernt Herrn Schultz kennen und lieben, einen jüdischen Obsthändler. Zur Verlobung taucht Schultz mit NS-Armbinde auf. Ein erstes Zeichen nahen Zeitenwechsels.

In Berlin treibt es Bradshaw in den "KitKatKlub". Da geht nach dem Desaster des 1. Weltkriegs so heftig die Post ab, als sei ´s ein Tanz auf dem Vulkan. Ist es ja auch: Lustvolle Freiheit beinahe ohne Grenzen kurz vor der Nazi-nationalen Dämmerung zum Untergang. Aber: Noch scheint anfangs alles gut. Bradshaw trifft die Tänzerin Miss Sally Bowles. Berlin ist bis dahin international. Das Glück ist heftig, Bowles wird schwanger. Das Glück ist kurz: Es wächst die Angst. Paare trennen sich. Bowles geht zurück nach England, Fräulein Schneider und Herr Schultz gehen auseinander. Vielleicht zu gefährlich, so eine Verbindung.

Das alles vor historisch atmosphärischem Hintergrund mit Musik, mit Jazz, mit wilden Szenen. So kommt Geschichte selten ´rüber. Als dann im Publikum noch Nazi-Lieder tönen, der Beifall bröckelt, da ist klar: Geschichte ist kein bisschen trocken, wenn sie gut erzählt wird. So hatten die Schüler aus Wittgenstein das noch nie gesehen. Gehört auch nicht: Jazz vom Anfang des letzten Jahrhunderts steht bei ihnen "normal" eher nicht auf der Liste. Deswegen sind ihre Klassenlehrer und ihre Musiklehrerin mit ihnen nach Marburg gefahren.

Erst kurz vor Mitternacht waren die jungen Witgensteiner und Hinterländer wieder zu Hause. Das Echo: geteilt. "Toll" überwiegt.